Wo der Geschmack zum Leben erwacht
Dieses geheimnisvolle Geschmacksprofil kann Sie zu neuen geschmacklichen Horizonten entführen, von Steilklippen bis hin zu Häfen, Gezeitentümpeln und Fischernetzen. Julien Willems taucht tief in die wundervolle Welt der «Ölig und maritim» Whiskys der Society ein.
Die Schreie der Möwen und Seeschwalben spiegeln unsere eigene Sehnsucht nach dem Meer und den vielfältigen Köstlichkeiten, die es zu bieten hat. Unser Geschmacksprofil «Ölig und maritim» ist von zwei entgegengesetzten Herangehensweisen an Küstenaromen geprägt, die einen so hohen Wiedererkennungswert haben, dass ihre blosse Erwähnung eine Flut von Erinnerungen und Emotionen mit sich bringt.
Lassen Sie uns die Dualität in diesem Geschmacksprofil erkunden, die durch die entgegengesetzten Herangehensweisen an Küstenaromen entsteht. Am einen Ende steht eine leichtere Seite, die sich aus Strandspaziergängen, Treibholz und Gischt sowie Wachsen und leichtem Olivenöl zusammensetzt. Am anderen Ende finden wir eine schwerere Seite, die an Nachmittage am Hafen mit aufgehängten Fischernetzen und einem Hauch von Torf und Motoröl erinnert.
Wir beginnen unsere Reise in den Dünen, eingehüllt in den Duft von Ginster und eine Aroma-Explosion voller Sonnenschein. Schlagworte wie Kokosnuss, Sonnenmilch und Treibholz sind auf den Einfluss des Holzes zurückzuführen. Wie wir in unserem Artikel zum Geschmacksprofil «Saftig, Eiche und Vanille» beschrieben haben, stammen diese Kokosaromen von Cis-Lactonen, die natürlicherweise in Eiche vorkommen, vor allem in Quercus alba, der Amerikanischen Weiss-Eiche.
«Diese Verbindungen haben eine weitere interessante Eigenschaft: Sie können auch zu den Aromen beitragen, die wir als ölig wahrnehmen», erklärt SMWS Spirits Educator Dr. Andy Forrester. Was die Gischt und salzigen Geschmacksnoten angeht, handelt es sich wohl eher um Produkte unserer Fantasie. Aus wissenschaftlicher Sicht stellt Dr. Forrester fest: «Whisky enthält kein Salz und es wurde nie erwiesen, dass die Reifung an der Küste einen Unterschied im wahrgenommenen Salzgehalt eines Whiskys produziert.»
Es beginnt mit dem Spirit
Hier sollten wir anstelle der Reifung eher den Spirit näher unter die Lupe nehmen. Ölig ist eine recht breit gefächerte Beschreibung, die von seifigen oder wachsigen Noten am leichteren Ende des Spektrums bis zu Oliven- oder Motoröl am anderen Ende reichen kann. Seifige Aromen können während der Fermentierung in Form von Linalool (seifig, Lavendel) oder Benzaldehyd (Mandeln) auftreten und es durch den Destillierapparat bis ins finale Destillat schaffen. Die tatsächliche Anzahl der Verbindungen richtet sich nach zahlreichen Faktoren, von der Hefeart bis hin zur bakteriellen Aktivität im Wash.
Wachsige Aromen werden zum Beispiel von Destillerie 26 erzeugt. Sie ist für ihre Bienenwachs-Noten bekannt, und es gibt die verschiedensten Theorien, welche Gründe dahinter stecken. Einer der mutmasslichen Auslöser dieser begehrten Wachsigkeit im Whisky sind langkettige (aliphatische) Ester – diese Verbindungen stammen aus den Zutaten für den Whisky und deren Fermentierung. Der Grund dafür, dass sich diese langkettigen Ester manchmal stärker bemerkbar machen, könnte (zumindest theoretisch) etwas mit ihrer geringeren Flüchtigkeit zu tun haben, die dafür sorgt, dass sie sich im Low Wines Receiver und im Feints Receiver ansammeln und mit jeder nachfolgenden Destillation in höherer Konzentration vorhanden sind.
Zurück zum Hafen
Wenn wir erklären wollen, wie ein Whisky in unserer Vorstellung mit dem schwereren Stil des Geschmacksprofils «Ölig und maritim» assoziiert sein kann, das an von den Wellen geformte Felsen und Gezeitentümpel, salzverkrustete Hafenmauern, Hummer-Fangkörbe und dümpelnde Fischerboote vor dem leisen Hintergrund von duftendem Torfrauch erinnert, müssen wir den Strand verlassen und in den Hafen zurückkehren. Dort werden wir mehr Antworten finden (und zugegebenermassen auch mehr Fragen).
Die bereits erwähnten langkettigen Ester könnten, zusammen mit Aldehyden genannten Verbindungen, ebenfalls zu einigen schwereren Aromen beitragen, die an geschmolzene Butter und ölige, frittierte Speisen erinnern (Destillerie 93 liefert einige überzeugende Beispiele). Sowohl von langkettigen Estern als auch von Aldehyden wird angenommen, dass sie bei der Zersetzung von Ölen und Fettsäuren im Wash und Wort entstehen. Das könnte also die Pflanzenöl-Aromen erklären … Das Geschmacksprofil «Ölig und maritim» hat diese fantastische Fähigkeit, sowohl ungetorfte als auch getorfte Malts zu vereinen. Das ist ein glücklicher Zufall, denn mithilfe der getorften Malts können wir vielleicht einige Antworten finden, die letztendlich auch auf ungetorfte Malts zutreffen.
Der Balanceakt eines Whiskybrenners
Bei der Destillation eines getorften Malts versucht der Destillateur meist, so viele rauchige Noten wie möglich aus dem Wort und den Low Wines zu gewinnen. Interessanterweise werden diese geschätzten Aromen von schwereren phenolischen Verbindungen getragen (denken Sie an den Geruch von Wunddesinfektionsmittel, Phenolen und zuweilen auch Bromophenolen, die mit maritimen Noten assoziiert werden).
Diese Substanzen sind jedoch nicht so flüchtig wie Ethanol und die meisten fruchtigen Ester, was bedeutet, dass es ihnen schwerer fällt, durch die Destille zu gelangen. Um mehr von diesen phenolischen Verbindungen zu extrahieren, muss der Destillateur also abwarten, bis die Ester und das Ethanol als erste den Destillierapparat passiert haben. Dann steigen allmählich die relativen Konzentrationen von phenolischen und anderen schwereren, weniger flüchtigen Verbindungen in der Destille an und gelangen durch die Kondensatoren in höheren Konzentrationen in den Spirit.
Dabei stellt sich jedoch eine Herausforderung: Wenn der Destillateur die Destillation länger hinauszögert, finden auch andere Verbindungen ihren Weg in das Destillat. Denken Sie an Marmite mit einem Hauch Schwefel (MMFDS-Verbindungen), Aromen von Schalentieren und auch leicht käsige Noten.
Diese Geschmacksnoten sind in sehr geringen Konzentrationen wahrnehmbar und während ein bisschen davon die Aromen in Richtung des raffinierten, ungewöhnlichen und begehrten «Ölig und maritim»-Profils lenken kann, könnte zu viel davon den Whisky ruinieren.
Bei der Herstellung von risikoscheuen Landratten-Whiskys wird die Destillation nach kurzer Zeit abgebrochen, lange bevor diese ungewöhnlicheren Aromen am Horizont auftauchen. Bei getorften Whiskys sieht die Sache ganz anders aus. Die Destillateure brechen die Destillation oft zu einem späteren Zeitpunkt ab, was dem Spirit mehr «Heart» verleiht – dies ist der Teil, der in die Fässer und Flaschen gelangt. Der «Head» enthält mitunter so abscheuliche Dinge wie Ethanol und sollte gemieden werden, ebenso wie der «Tail», der die «Feints» beherbergt – stellen Sie sich die ungewaschenen Wollsocken eines alten Seebären vor, der gerade zwei Monate auf hoher See verbracht hat.
Möglicherweise könnte dies in geringerem Ausmass auch bei einigen ungetorften Küstenwhiskys der Fall sein. Um das richtige Gleichgewicht zu finden und subtil-maritime Aromen zu kreieren, die an die Sinneseindrücke in einem Hafen erinnern, muss sich der Destillateur an der Kante einer metaphorischen Aroma-Klippe bewegen … doch wie weit tragen uns unsere Träume über diese Klippe aufs Meer hinaus? Und wie viele Grün- und Blautöne können unsere Sinne geniessen?
Haben Sie einen Sinn für’s Abenteuer? Sind Sie des festen Bodens unter Ihren Füssen überdrüssig? Die üblichen zahmen Drams sind nicht mehr Ihr Ding? Dann ist es an der Zeit, uns dem Meer hinzugeben und uns in die Fluten dieses wahrlich unerwarteten Geschmacksprofils zu stürzen. Machen Sie sich auf den Weg an die Küste, oder zumindest in Ihre Badewanne (natürlich nicht ohne Badesalz), oder geniessen Sie köstliches Garnelen-Gericht, und lassen Sie diese dicken, herzhaften Küstenaromen Wind in Ihre Segel pusten, der Sie zu neuen Geschmackshorizonten trägt.