Saftig, Eiche und Vanille

Wo der Geschmack zum Leben erwacht

Der März ist da und mit ihm das Versprechen von Frühling und längeren Tagen. Die ersten Triebe und Blumen hellen nach der langen dunklen Zeit endlich die Stimmung wieder auf. Die Eichen in den Tälern schütteln im wärmer werdenden Wind die Strenge des Winters ab und die Säfte strömen bis ins letzte Ästchen hinein, wo sie erste zaghaft grünende Knospen erwecken. Da dieser Monat ganz im Zeichen von Wiedergeburt, Bäumen und nach Kokosnuss duftendem Ginster steht, wirft Julien Willems einen Blick auf die Whiskys des Geschmacksprofils Saftig, Eiche und Vanille.

Die Aromen und Düfte, die diese Whiskys mit sich bringen, sind eine Hommage an die Eiche und insbesondere an das, was passiert, wenn amerikanische Eichenfässer den Ausschlag für den Geschmack geben.

Denken Sie an tropische Kokosnuss, geöltes Holz, Geissblatt, ein Ananassorbet, Bananensplit und Passionsfrucht und ein ordentliches Stück Millionaire’s Shortbread … schon sind Sie auf einem Frühlingspicknick bei der Sägemühle! Damit das Geschmacksprofil auch einen saftigen Aspekt mit einer wunderbaren Fülle fruchtiger Aromen erhält, braucht es den richtigen Geist.

Wie bei Süss, fruchtig und mild spielen auch bei den Whiskys des Geschmacksprofils Saftig, Eiche und Vanille Ester eine Rolle bei den fruchtigen Aromen, die wir wahrnehmen. Diese Ester entstehen als Nebenprodukt der Gärung und können eine grosse Bandbreite fruchtiger Eindrücke erzeugen, die je nach Konzentration und Zusammenwirken mit anderen Estern und geschmacksaktiven Verbindungen mehr oder weniger wahrnehmbar sind.

Das gilt ebenso für das Profil Saftig, Eiche und Vanille; hier jedoch kommen die fruchtigen Aromen im Vergleich mit den Whiskys des Profils Süss, fruchtig und mild unter Umständen nicht immer so deutlich hervor.

Um die Gründe dafür zu verstehen, müssen wir uns den wichtigsten Akteur bei der Entstehung von Whiskys des Profils Saftig, Eiche und Vanille ansehen: das Fass.

Ein Blick auf Laktone

Eiche kann einem Whisky viele aromatische Nuancen verleihen und in diesem Fall können wir das vorherrschende Aroma spezifischen Geschmacksverbindungen zuordnen. Cis-Eichenlaktone (nachfolgend einfach „Laktone“) sorgen zum Beispiel für die wunderbaren Aromen von Ginster und Kokosnuss.

Laktone sind natürlich auftretende „freie Verbindungen“ in den meisten Eichen, können jedoch in der Menge variieren und kommen besonders reichlich in amerikanischer Eiche (Quercus alba) vor. Die europäische Eiche (Quercus robur) ist für dieses Profil aufgrund ihrer gerbstoffhaltigen, würzigen und den Mund austrocknenden Eigenschaften nicht die erste Wahl.

Der Grund für die Geschmacksvielfalt, die amerikanische Eiche verleiht, ist zumindest teilweise genetischer Natur und der jeweiligen Art eigen, wir wissen jedoch, dass es auch Umweltfaktoren geben muss – in anderen Worten, es kommt darauf an, wo diese Bäume wachsen.

Darüber herrscht jedoch noch keine vollständige Klarheit. „Die Laktonkonzentration variiert zwischen Bäumen derselben Art erheblich, sogar im gleichen Teil eines Waldgebiets“, erklärt Dr. Andy Forrester, Dozent für Spirituosen der Gesellschaft.

Hier kommen die Küfer ins Spiel. Ihre Arbeit besteht nicht einfach darin, möglichst rasch ein hervorragendes Fass zusammenzubauen, sondern auch darin, das Holz dafür auszuwählen, zu trocknen und reifen zu lassen.

Einige Küfereien wie etwa Deguin Moreau gehen sogar so weit, jede einzelne Daube aus Eichenholz vor der Wärmebehandlung auf ihren Laktongehalt zu überprüfen – wenn Sie eine Vorstellung von den Fässern mit hohem Laktongehalt, wie sie bei Seguin Moreau hergestellt werden, bekommen möchten, sollten Sie Batch #12 Clementine Confit oder Cask No. 80.33: Advocaat snowball probieren. Wie Sie sich aber vielleicht bereits denken können, ist nicht allein der Laktongehalt ausschlaggebend.

Schreiben Sie aber Whiskys, die in Fässern aus europäischer Eiche gereift sind, nicht ab, rät Dr. Andy: „Wenn die Eiche aus der richtigen Region des Kontinents kommt, kann sie ebenfalls einen hohen Laktongehalt aufweisen. Aus der Forschung wissen wir, dass Eichen aus Ungarn, Kroatien und Rumänien reich an diesen süssen, kokosnussigen Verbindungen sind.“

Probieren Sie den SMWS Small Batch Single Malt Pomegranate Gremolata, der in kaukasischer Eiche gereift ist … und freuen Sie sich auf weitere Abfüllungen aus diesen Fässern.

Jetzt wird es heiss

Das andere dominierende Element des Profils Saftig, Eiche und Vanille ist Vanille bzw. das mit diesem Geschmack verbundene Molekül: Vanillin. Diese Verbindung kommt nicht natürlicherweise in Eiche vor, aber Lignin, ihre Vorstufe, macht den grössten Teil der pflanzlichen Zellwand aus und damit den grössten Teil des Holzes. Um Lignin in Vanillin umzuwandeln, muss Eiche wärmebehandelt werden. Sobald es Feuer und Hitze ausgesetzt wird, zerfällt Lignin in eine Vielzahl aromaaktiver Verbindungen, darunter eine riesige Menge an Vanillin. Auch hier zeigt sich wieder, dass Küfer nicht nur versierte Handwerker sind, sondern auch Meister der Holzchemie.

Sie wissen, dass die begehrten aromaintensiven Extrakte im „getoasteten Holz“ direkt unter der Holzkohleschicht eines Bourbonfasses (oder Fasses aus gekohlter Eiche) liegen. „Amerikanischen Küfern ist bewusst, wie wichtig es ist, Aromen zu schaffen, dass Toasting genauso wichtig ist wie die gesetzlich vorgeschriebene Verkohlung“, meint Dr. Andy. „Dazu wurden in den letzten Jahren umfangreiche Forschungen betrieben – und Experten wie Kelvin Cooperage, um nur einen Hersteller zu nennen, liefern uns Fässer, die sie speziell mit genau den richtigen Temperaturen rösten, damit exakt jenes Geschmacksprofil entsteht, das Brenner oder die SMWS suchen.“

Daher überrascht es nicht, dass von den 588 Whiskys mit dem Profil Saftig, Eiche und Vanille, die die Society seit 2014 abgefüllt hat, 93 Prozent in gekohlten Eichenfässern und 87 Prozent in Bourbonfässern gereift sind. Diese Fässer sind so konzipiert, dass sie dem Alkohol, der in ihnen reift, eine riesige Menge von Aromen mitgeben. Dr. Andy erklärt: „Das US-amerikanische Gesetz schreibt vor, dass Bourbon nur in ausgekohlten, neuen Eichenholzfässern reifen darf. Das heisst, sie können nur einmal verwendet werden. Nachdem sie in ihrem ersten Leben also nur maximal vier Jahre lang zur Reifung von Bourbon gedient haben, ist das Holz „wohlgereift“. Dabei ist der intensivere Holzcharakter nun abgemildert, hat der Spirituose jedoch noch viel zu geben. Das macht die Fässer ideal zur Reifung von schottischem Whisky. Das Auskohlen „öffnet“ ausserdem das Holz und intensiviert die Durchdringung des Alkohols. Damit wird das Reifepotential des Fasses verbessert.“

Geschenke der Natur

Bourbonfässer liefern deshalb derart intensive Eichen-, Vanille- und Kokosnussaromen, dass sie das Potential haben, die leichteren, fruchtigen Eigenschaften einer Spirituose zu überlagern und zu überdecken, während sie diejenigen Fruchtaromen komplementieren, die ihrem holzigen Einfluss standhalten können.

Öffnen Sie die nächste Flasche Whisky mit dem Profil Saftig, Eiche und Vanille, schauen Sie aus dem Fenster und nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit, die allmähliche Wiederkehr hellerer und längerer Tage zu feiern und den zahlreichen Sinnesfreuden der Eichenfässer zu huldigen.

Oder – wenn Sie wie ich der Natur gern etwas näher sind – befüllen Sie grosszügig Ihren Flachmann, schnüren Sie die Wanderstiefel und machen Sie sich auf in die Berge, um ein Eckchen mit aufblühendem Ginster, einen sonnigen Berghang oder einen geschützten Eichenhain zu suchen. Und dann lassen Sie sich mit jedem Schluck durch die Vorfrühlingsfreude von den Ketten des Winters befreien und sich daran erinnern, welche wunderbaren Geschenke die Natur für uns bereithält.